von Norbert Krings
Wer in einer Sportart hoch hinaus will und über das nötige Talent verfügt, steht oft vor einem scheinbar unlösbaren Problem: In der eigenen Stadt oder Umgebung gibt es keinen Verein, der diesen Sport anbietet oder der Nachwuchs wird dort nicht gut genug gefördert. Die Stadt und die großen Vereine in Düsseldorf haben dieses Problem erkannt und bieten über ein Gastfamilien-Programm Hilfestellung für junge Menschen, die neben der sportlichen Förderung auch abseits von Zuhause eine familienähnliche Umgebung brauchen. Das funktioniert gut, wie unsere Beispiele zeigen, aber es werden noch weitere Gastfamilien gesucht.
In der U13 hat Paul Gerwinn mit seinem Sport angefangen. Der jetzt 17-Jährige ist Footballer aus Leidenschaft. In Münster sind allerdings die Möglichkeiten beschränkt, wenn ein Talent in dieser Sportart mehr will, als nur seinem Hobby nachzugehen. Die Münster Blackhawks haben dem jungen Mann dann irgendwann nicht mehr als Basis ausgereicht, um sich weiter zu entwickeln. In Düsseldorf ist das anders, denn die Jugendarbeit ist bei den Panthern, dem ältesten Football-Club Deutschlands, ein Vorzeige-Projekt. „Ich war schon immer sehr ehrgeizig, was meinen Sport angeht. Daher wollte ich zu einem größeren Verein wechseln“, sagt Gerwinn, der dann, als er in der U16 spielte, mit seiner Familie überlegte, wie er den Wechsel nach Düsseldorf bewerkstelligen sollte. Das letzte U16-Jahr, das „Senior-Year“ spielte der Footballer dann bereits für die Panther – doch er lebte noch zuhause in Münster.
Das war gut für den Sport, aber nicht gerade ideal für die Schule und die Zeit, die er auf dem Weg von Münster nach Düsseldorf und zurück im Zug verbringen musste. Ein halbes Jahr hat Gerwinn diese Belastung auf sich genommen. „Ich war dreimal in der Woche in Düsseldorf, in den Ferien sogar noch öfter, so hat ein Training, wenn es gut gelaufen ist, sieben Stunden Zeitaufwand gekostet“, erklärt der 17-Jährige. Teilweise war er sogar erst gegen 1 Uhr in der Nacht zuhause. „Wir waren super erfolgreich, unter anderem waren wir NRW-Meister.“ Sportlich lief es für den jungen Cornerback also ideal. Dann stand der Wechsel zur U19 an. Doch das gesteigerte Programm mit fünfmaligem Team-Training war nicht zu bewältigen, wenn er das Ganze wie zuvor mit dem Zug auf sich genommen hätte. „Nebenbei“ steht auch noch das Abitur auf dem Programm.
Um Football weiter so anspruchsvoll zu spielen, wie er es wollte, ging das nur mit einem Umzug. „Wir haben uns umgeschaut, sogar nach einer eigenen Wohnung gesucht, was aber mit 16 nicht so sinnvoll war“, sagt Gerwinn. So stieß die Familie auf das Gastfamilien-Programm der Stadt Düsseldorf. Mit dem Jugendtrainer der Panther, Peter Daletzki, wurde alles besprochen und ein Empfehlungsschreiben für das Projekt entworfen. Dann kam Linda Fischer ins Spiel, die vom Verein Trotzdem e.V. die Koordination und Betreuung des Gastfamilien-Programms für junge Sportler in Kooperation mit der Stadt Düsseldorf übernommen hat.
Für das Matching-Procedere, das Suchen einer geeigneten Gastfamilie, wurde ein Fragebogen ausgefüllt und nach passenden Kandidaten gesucht. Der erste Versuch mit einem Standort in Erkrath passte nicht wegen der zu großen Entfernung, der zweite Versuch saß und führte zu einem Ergebnis, das geradezu ideal für Paul Gerwinn und das Paar passte, das den jungen Mann wie ein Familienmitglied aufnahm. „Mit Football hatten die beiden zuvor nichts zu tun, sind aber inzwischen zu Fans von Paul geworden“, berichtet Linda Fischer von Frank W. Echsler und Florian Schneider, die über die sozialen Medien von dem Projekt erfahren hatten.
Gastfamilien werden ausführlich auf ihre Eignung überprüft
„Während eine Urlaubs in Wien im September 2022 entdeckten wir das Programm durch die Instagram-Story der Stadt Düsseldorf“, sagte Frank W. Echsler. „Die Idee der Förderung junger Menschen mit Unterstützung durch Gastfamilien hat unser Interesse geweckt.“ Bereits eine Woche später saßen er und sein Ehemann mit Linda Fischer zusammen, um zu schauen, ob das Projekt wirklich in Frage kam. Nun ist es gerade ein Jahr her, dass Paul sein zweites Zuhause in Düsseldorf hat. „Wir freuen uns, einem jungen Menschen ein familiäres Setting zu geben und ihn zu unterstützen in Schulischem, Sportlichem und Persönlichem. Wir möchten weitergeben, was wir selbst erfahren haben: Menschen auf unserem eigenen Lebensweg, die uns geprägt, unterstützt und begleitet haben, die an uns und unsere Ziele geglaubt haben.“
Die Familien haben sich beide vergrößert. „Nicht nur Paul ist nun Teil unseres Lebens, sondern auch seine Eltern und Brüder, zu denen wir eine vertrauensvolle und freundschaftliche Beziehung haben“, erklärt Florian Schneider, dessen Alltag sich verändert hat: „Ein schulpflichtiger junger Erwachsener mit anspruchsvollem Trainings- und Spielplan ist nun fester Bestandteil unseres Lebens. So besucht die neue Großfamilie auch die Spiele von Paul oder verfolgt sie online im Livestream und bei Instagram. Das Anfeuern hat sich gelohnt, der Gewinn des Junior Bowls war nicht nur für Paul, der inzwischen auch Jugend-Nationalspieler ist, ein großartiges Erlebnis.
Von Anfang an herrschte ein enormes Vertrauen zwischen Pauls Gasteltern und ihm. „Da wir bis zu Pauls Volljährigkeit im Mai 2024 auch offiziell von Seiten des Jugendamts als Pflegeeltern anerkannt sind, empfinden wir unsere Rolle und Verantwortung durchaus auch im Sinne klassischer Eltern“, sagt Frank W. Echsler. „Und es ist schön, anderen von unserem Gast-Sohn zu erzählen.“ Mit Linda Fischer und Tobias Scherbarth, dem Projekt-Verantwortlichen der Stadt, besteht ein guter Austausch. Durch „Trotzdem e.V. und Linda stehen nicht nur Sport und Schule, sondern auch besonders die persönliche Entwicklung des Jugendlichen und die Beziehungen zur Gast- und Herkunftsfamilie im Fokus“, sagt Florian Schneider. Bald wird es auch ein „Vernetzungstreffen“ für alle Gastfamilien geben – Pauls zweites Elternpaar freut sich auf den Austausch.
Die Gasteltern nehmen Paul bereits jetzt schon als sehr erwachsen und selbstständig wahr und sie sind offen dafür, wenn er auch nach seinem 18. Geburtstag und dem im nächsten Frühjahr bevorstehenden Abitur bei ihnen wohnen bleiben möchte. „Wir sind jedenfalls froh, durch Zufall vom Gastfamilienprogramm erfahren und Paul und seine Familie kennengelernt zu haben! Dieser gemeinsame Weg kann gerne noch längere Zeit weitergehen“, erklärt Frank W. Echsler. Paul Gerwinn erwägt auch, in Düsseldorf zu studieren. BWL und Jura könnten dann die Fächer sein.
Schulische und berufliche Perspektive sind sehr wichtig
Das Projekt baut auf drei Säulen auf. „Es braucht eine Empfehlung für die sportliche Perspektive, es muss sich also lohnen, dass es auch ein Sportler für die Sportstadt wird“, erklärt Linda Fischer. Die schulische und berufliche Perspektive ist die zweite Säule, weil alles unter der Überschrift duale Karriere läuft und damit auch Verletzungen oder sportliche Stagnation aufgefangen werden können. Im Februar hatte sich Paul Gerwinn das Schlüsselbein gebrochen, war allerdings nach zwei Wochen Pause wieder im Training. Zudem muss auch das Verhältnis zu den Gastfamilien passen.
Dass es nun vier Vereine (Fortuna, DEG, Panther und TuSA) sind, die in diesem Projekt involviert sind, ist bisher noch die Obergrenze. „Als das Internat am Fliedner-Gymnasium geschlossen wurde, gab es eine Lücke in der Versorgung der nicht erwachsenen Sportler“, erklärt Linda Fischer die ursprünglichen Überlegungen zu diesem Projekt. „Wir als Jugendhilfeverein sind angefragt worden als Betreuung, weil wir Ahnung haben, wie Jugendliche in Familien aufgehoben sein sollten.“ Ihre Aufgabe ist es, die Brücke zwischen allen Beteiligten zu bilden. „Die Persönlichkeitsentwicklung ist mein Fokus“, sagt die Betreuerin vom Verein Trotzdem e.V.
Kim Götte ist das erste weibliche Sporttalent in diesem Projekt
Inzwischen ist zählt auch das erste weibliche Talent zu den betreuten Sportlern. Kimberly Götte ist 16 Jahre alt und U17-Fußballerin bei DJK TuSA Düsseldorf. „Kim hat sich nach kleinen Startschwierigkeiten, sehr gut in Düsseldorf eingelebt“, berichtet ihre Mutter Ramona Götte. „Bei vier Trainingseinheiten in der Woche bleibt wenig Zeit für andere Aktivitäten. Sie liebt es, endlich wieder Vollgas auf dem Platz geben zu können.“ Mit ihren Gasteltern habe es „sofort gematcht“, sagt die Mutter. „Die Vermittlung verlief sehr schnell und unkompliziert.“
Kim hatte sich dazu entschieden diesen Schritt zu gehen, weil sie Richtung Bundesliga gehen möchte. Sie versucht an ihrem Traum zu arbeiten. Die DJK TuSA hat Kim mit offenen Armen empfangen, obwohl sie sich noch in der Reha nach ihrem Kreuzbandriss befand. „Kim erhält gerade eine tolle Ausbildung und genießt jede Minute, die sie auf dem Platz sein darf“, sagt Ramona Götte, die das Projekt als eine tolle Sache empfindet, auch wenn es als Familie nicht ganz einfach sei.
Ende Mai hatte Kims Familie erste Kontakte zu TUSA geknüpft. „Da wir von ihren Fähigkeiten überzeugt waren, überlegten wir, ob wir Kim nicht die Möglichkeit geben sollten, zunächst ins Aufbau- und dann ins Mannschaftstraining unseres Regionalliga-Teams einzusteigen, mit der Perspektive, ab Herbst wieder voll dabei zu sein“ erklärt Marcus Italiani, Leiter des TUSA-Leistungszentrums. Da Kims Heimat rund 115 Kilometer weit entfernt liegt, musste eine Lösung gefunden werden, damit die Trainings- und Schulzeiten funktionieren konnten. Damit kam das Gastfamilienprogramm für Leistungssportler ins Spiel.
Natürlich ist es für ein 16-jähriges Mädchen alles andere als einfach, Familie, Schule, Freunde zurückzulassen und in einer fremden Stadt neu anzufangen. Daher gibt es auch Herausforderungen im Alltag. Dafür, dass diese gemeistert werden, sind die Gasteltern eine ganz wichtige Komponente. „Wir als Verein und ihre Mannschaft sind jedenfalls sehr glücklich mit ihr“, erklärte Marcus Italiani von der TuSA.
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