von Bernd Schwickerath
Es ist gerade mal ein paar Jahre her, da sammelten die Düsseldorfer Leichtathleten zahlreiche Medaille, die Jugend war die beste Deutschlands. Doch davon ist nicht mehr viel übrig. Was ist also schief gelaufen? In unserer Reihe D.SPORTS INSIDE werfen wir einen genauen Blick auf die Leichtathletik in Düsseldorf.
Jochen Grundmann durfte dieses Jahr auf ein ganz besonderes Jubiläum schauen: Seit genau 50 Jahren ist er Leichtathletik-Trainer in Düsseldorf – und fast ebenso lange Funktionär, bis heute Abteilungsleiter beim ART. „Ich habe alles erlebt“, sagt Grundmann also. „Die großen Jahre mit Manfred Beckers, Dirk Wippermann und Ralf Jaros. Den totalen Niedergang Ende der 90er-Jahre. Den neuen Aufschwung und auch die letzten Jahre. Und ich habe gemerkt: Es geht immer weiter, es ist eine Wellenbewegung.“
Das ist sie in der Tat, die Düsseldorfer Leichtathletik-Geschichte. Wobei die zuletzt wenig von einer Welle hatte, da herrschte eher Ebbe. Nur eine Medaille bei der Deutschen Meisterschaft, kein Teilnehmer bei der WM und für Olympia nächstes Jahr sieht auch mau aus. Wobei man das seit ein paar Tagen korrigieren muss. Denn vergangene Woche gelang ein Coup: Bo Kanda Lita Baehre ist zurück in seiner Heimatstadt.
Der 24-Jährige ist das neueste Mitglied im Team Düsseldorf, dem Elite-Förderteam von D.SPORTS, das Athlet:innen auf ihrem Weg zu den Olympischen und Paralympischen Spielen unterstützt. Wer würde da besser passen als Bo Kanda Lita Baehre? Aufgewachsen in Flingern, schon als Kind beim ART und mittlerweile einer der besten Stabhochspringer der Welt: Silber bei der EM 2022, Gold bei der U23-EM 2019, acht Deutsche Meistertitel – den jüngsten beim Spektakel diesen Sommer am Rheinufer.
Damals noch als Starter von Bayer Leverkusen, wo er 2016 hingewechselt war, nun freut er sich, zurück zu sein: „Als gebürtiger Düsseldorfer hängt mein Herz an meiner Heimatstadt, und deshalb freue ich mich sehr, ab sofort Teil des Team Düsseldorf zu sein und wieder für den ART Düsseldorf aktiv zu sein. Es ist ein großartiges Gefühl, wieder dorthin zurückzukehren, wo mein sportlicher Weg begonnen hat.“
Doch bei aller Freude über die Rückkehr von Bo Kanda Lita Baehre: Ansonsten sieht es mau aus. Und da fragt man sich ja, was da passiert ist. Immerhin gibt es mindestens vier große Klubs: ART, SFD 75, ASC und TV Angermund, deren Geschichte gespickt ist mit Medaillen und Erfolgen.
Große Tradition
Leichtathletik hat generell Tradition in Düsseldorf. Schon in den 1920er-Jahren gab es große Feste im damals neuen Rheinstadion, ebenso in den 1950ern. Immer wieder kamen Sieger aus Düsseldorf, immer wieder kamen große Athleten nach Düsseldorf. Erinnert sei nur an den Weltcup 1977 (der Vorläufer der WM) oder die Deutschen Meisterschaften 1984 und 1990, die letzte vor der Wiedervereinigung. Da kamen jeweils fünfstellige Zuschauerzahlen.
Danach gab es über Jahre Weltklasse-Athleten in der Leichtathletikhalle im Arena-Sportpark zu sehen, mittlerweile durch das ISTAF INDOOR im PSD BANK DOME. Und auch die heimischen Athleten räumten ab: Allein 1984 gab es einmal Gold, zweimal Silber und dreimal Bronze. Sabine Everts von der damaligen LAV Düsseldorf kam von Olympia 1984 sogar mit Bronze im Siebenkampf nach Hause.
Zwar gab es danach dann eine lange Durststrecke. Aber in den 2010er-Jahre ging es wieder bergauf durch Straßenläufer wie André Pollmächer von Rhein-Marathon Düsseldorf oder Simon Stützel vom ART. In den Jahren danach auch wieder durch die Stadionsportler – vor allem in der Jugend, die für einige Zeit gar als beste in Deutschland galt. Von 2009 bis 2018 gab es jedes Jahr Düsseldorfer Medaillen bei der Jugend-DM. Und auch die Erwachsenen sammelten Edelmetall und Bestwerte. 2018 waren Düsseldorfer Athleten achtmal unter den Top-Ten der deutschen Bestenlisten.
Doch dann ging es bergab. Als die Talente von ART, TV Angermund, SFD 75 und ASC 2019 lediglich auf sechs Top-Ten-Plätze blickten, sprach ART-Trainer Silvo Zein von den „schlechtesten Deutschen Jugend-Meisterschaften seit vielen Jahren“. Ähnlich niedergeschlagen war Abteilungsleiter Grundmann: „Die Ergebnisse sind sehr enttäuschend, außerdem haben junge Athleten, die beim ART groß geworden waren und nun anderen Vereinen angehören, sechs Medaillen gewonnen.“
Talente wandern ab
Das gab es seitdem häufiger. Weil die heimischen Klubs einen großen Exodus erlebten. Vor allem im Nachwuchs. Einige Talente gingen in die USA, um Leistungssport mit Studium zu kombinieren. Andere wechselten innerhalb Deutschlands die Klubs. Stabhochspringer Bo Kanda Lita Baehre war längst nicht der einzige. Auch Jessie Maduka, Djamila Böhm, Svenja Ojstersek oder Annkathrin Hoven gingen, meist nach Leverkusen oder Wattenscheid. Auch das erfolgreiche Marathon-Team ist wieder weg. 2018 wurde es nach zwei Jahren und diversen Titeln wieder aufgelöst – aus finanziellen Gründen.
Und auch bei der Jugend kam nicht mehr viel nach: Bei der U20-EM 2019 waren erstmals seit Jahren keine Düsseldorfer Talente dabei. Bei den Erwachsenen ging es etwas länger gut, bei der DM 2020 gab es dreimal Silber durch Maximilian Thorwirth (SFD 75 im 5000-Meter-Lauf), Jessie Maduka (ART, Dreisprung) und Djamila Böhm (ART, 400-Meter Hürden). Aber zwei der drei waren danach weg. Und dann kam Corona.
Die Pandemie mit all ihren Beschränkungen tat dem Sport ja generell weh. Aber besonders der Düsseldorfer Leichtathletik. „Alle Vereine haben verloren, wir hatten 40 Prozent Verlust, gerade bei den Jüngeren war es ein extremer Abbruch“, erinnert sich Klaus Kirberg, vor vor einigen Wochen lange Jahre in Angermund aktiv. „Viele konnten in Corona nicht trainieren, wir konnten die Sportler nicht weiterentwickeln. Und wer Weltklasse werden will, kann nicht zwei Jahre aussetzen.“ Vor allem dann nicht, wenn die Konkurrenz an den Stützpunkten in Leverkusen und Wattenscheid weitermachen konnte, weil dort eben Kaderathleten trainieren, die eine Sondergenehmigung bekamen.
Der Sportpark Niederheid, Heimat des SFD, war monatelang zu, ebenso die Leichtathletikhalle, wo der ASC zu Hause ist. Und auch der ART verlor 40, 50 Kinder. Da war zwar „nicht ganz so dramatisch. Ich habe es durchgängig geschafft, Kleingruppe-Training anbieten zu können“, sagt Jochen Grundmann. Aber es gab ein anderes Problem: „Es sind Trainer auf der Strecke geblieben, die gemerkt haben, es geht auch ohne.“ Aber es geht eben nicht ohne Trainer.
Zu wenig Geld, zu wenig hauptamtliche Trainer
Wer sich umhört, begegnet dem Thema immer wieder. Düsseldorf hat so viele Talente verloren oder weniger neue produziert, weil es an Trainern mangelt. Manche gingen, andere kamen erst gar nicht, weil es hier kaum Geld gibt.
„Geld ist das das Hauptthema“, sagt Jochen Grundmann: „Das Problem ist, dass wir alle Ehrenamtler sind oder im Rahmen der Ehrenamtler-Pauschale oder als Minijobber arbeiten. Um Spitzenathleten zu trainieren, ist viel mehr Zeit nötig, da muss der Trainer jeden Tag in der Halle oder auf dem Sportplatz stehen. Das ist selbst als Rentner zu viel.“ Also brauche man Hauptamtliche oder mindestens Teilzeitkräfte. „Richtig hauptamtliche Trainer haben wir aber überhaupt nicht, beim ART haben wir zwei Trainer, die als Minijobber tätig sind, beim ASC und beim TV Angermund sind auch maximal zwei Minijobber. Beim SFD 75 ist der Maximilian Thorwirth, aber solche Leute werden anderweitig finanziert oder finanzieren sich selbst.“
Vor ein paar Jahren war noch Geld da. Da gab es mehr vom Land und von der Stadt, zudem hatte Peter Kluth für den ART private Sponsoren aufgetrieben. „Aber 2017/18 ist das alles weggefallen“, sagt Grundmann. „Im Moment bekommt der gesamte Stützpunkt, alle drei Vereine, gerade mal 10.000 Euro.“ Zum Vergleich: In die Landesstützpunkte in Leverkusen und Wattenscheid fließen Millionen. Und so sieht dann die Verteilung der Medaillen aus. Die Düsseldorfer konnten mit ihrem engen Budget gerade mal die DM-Reisen für Toptalente wie Alvar Adler (ART) oder Gregory Minoue (TVA) finanzieren, „aber dann ist das Geld sofort für wenige Athleten weg“, sagt Grundmann.
Die beiden sind übrigens die nächsten Talente, die Düsseldorf verlassen. Adler geht nach Leverkusen, Minoue soll es nach Leipzig ziehen. Und das dürften nicht die letzten sein, wie Grundmann weiß: „Es kommen immer wieder Kinder hoch, die man dann nicht halten kann. Ohne geeignete Trainer ist das schwierig. Die sind schnell in Leverkusen und Wattenscheid.“ Und vielleicht gehen sie bald nach Köln. Dort baut der ehemalige Hammerwerfer Claus Dethloff seit zwei Jahren etwas Neues für den Jugend-Leistungssport auf, eine Kooperation mehrerer Vereine aus der Region. Dafür hat er Trainer geholt und will auch Athleten von außen. Cologne Athletics, nennt sich das Projekt.
Von so etwas sind sie in Düsseldorf weit entfernt. Dabei gab es derartige Pläne auch. „Wir hatten schon mal die Idee, oberhalb der U16 einen Leistungssportverein zu gründen, also nur dafür gemeinsam Trainer zu finanzieren, um wirklich Leistungssportler zu trainieren, die in die deutsche Spitze zu bringen und in Düsseldorf zu halten. Das wäre meiner Meinung nach das einzige Lösungsmodell“, erzählt Grundmann. Es habe auch bereits einen unterschriftsreifen Vertrag gegeben, doch am Ende stiegen die anderen Klubs aus, der neue Verein wurde nie gegründet.
Ist eine Kooperation die Lösung?
Dabei meint auch Klaus Kirberg, dass es wieder mehr Zusammenarbeit der Düsseldorfer Leichtathletikklubs braucht. „Man muss sich zusammenschließen. Angermund ART, ASC, SFD, TB Hassels – alle müssten an einen Tisch.“ Allerdings wäre er schon froh, wenn die Düsseldorfer Klubs zumindest mal „gemeinsame Veranstaltungen hier ausrichten könnten. Die Jugend soll nicht nach Hamburg fahren müssen, um einen Wettbewerb zu machen.“
Aber in Düsseldorf ist das schwer. Allein schon, weil es kaum noch geeignete Sportanlagen gibt. In der ganzen Region wurden ja fast alle großen Stadien für Fußball umgebaut. Zwar gibt es in Düsseldorf zumindest das Rather Waldstadion und eine Halle, aber die steht nicht immer zur Verfügung, bald erst recht nicht, wenn Spiele der Europameisterschaften in Handball und Fußball hier stattfinden.
„Da muss man wer weiß wo hin fahren, um das Training überhaupt aufrechtzuerhalten“, sagt Kirberg. „Diesen Winter fällt die Halle in der Hauptvorbereitungsphase auf die Hallensaison wegen Handball weg. Nächsten Sommer fällt die Anlage kurz vor den Meisterschaften mindestens sechs Wochen wegen der Fußball-EM weg.“ Alternativen? Sind rar. „Wir fühlen uns von der Stadt ein bisschen alleine gelassen.“
Also ist alles schlecht? Nein, es gibt durchaus noch Erfolgsgeschichten. Die Angermunder holten dieses Jahr bei der U20 den deutschen Vizemeistertitel mit der Langstaffel. Hürdensprinter Gregory Minoue war bei der U23-EM in Finnland am Start. Beim ART gibt es die Apfel-Zwillinge, Clara und Charlotte. Auch der ASC gewann Medaillen bei der U18-DM.
Und insgesamt sehen die Zahlen noch ordentlich aus. Rund 1500 aktive Leichtathleten gibt es in Düsseldorf. Neben Bo Kanda Lita Baehre heißt der erfolgreichste Maximilian Thorwirth, der dieses Jahr DM-Silber über 5000 Meter gewann. Zudem organisiert er selbst Laufevents wie die Kö-Meile. Aber er muss es halt auch tun, nur über den Sport kommt nicht genug rein.
Da sind wir wieder beim Geld. Davon gibt es in der Leichtathletik zu wenig. Selbst Spitzenathleten sind auf Förderung angewiesen, allein durch Sponsoren oder Preisgelder wird es schwer. Also wollen es viele gar nicht erst versuchen. Jahrelang auf so viel verzichten, um dann selbst als deutscher Topathlet kaum davon leben zu können? Für viele nicht attraktiv.
Ab der U18 wird es schwierig
Also hören sie auf, wenn es in der Schule ernst wird. In U18 und U20 hat der ART nur noch 30 Leichtathleten zusammen. „Da machen nur noch die Sport, die einen Sinn darin sehen“, sagt Grundmann. „Die Jugendlichen hören auf, wenn sie merken, sie haben keine großen Erfolge mehr in der U18 und U20.“
Wie also sieht die Zukunft der Düsseldorfer Leichtathletik aus? „Wenn wir es nicht schaffen, die ganze Geschichte zu professionalisieren, dann sehe ich das im gehobenen Amateurbereich“, sagt Grundmann. „Wir haben viele engagierte Leute, die die Kinder gut entwickeln und weiterbringen. Aber spätestens am Ende der U18 hört das auf. Es müsste sich strukturell etwas ändern im Leistungssportbereich. Wenn ein einzelner Verein nicht wieder einen Sponsor hat, wie wir das hatten, geht es das nur über eine Leistungsgemeinschaft. Alleine kann sich das kein Verein leisten.“
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