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Von Angermund in die Weltspitze

Düsseldorfer Hürdensprinter Gregory Minoue im Porträt

Fotos: Kenny Beele

von Bernd Schwickerath

Lange Zeit war Leichtathletik für Gregory Minoue nur ein Hobby, mittlerweile gehört der Düsseldorfer zu den weltweit größten Talenten im Hürdenlauf. Dieses Jahr soll der 19-Jährige vom TV Angermund auch international Medaillen gewinnen.

Es gab eine Zeit, da hat Gregory Minoue das alles nicht so ernst genommen. Und die ist gar nicht so lange her, etwa drei Jahre, Minoue galt bereits als einer der talentiertesten Hürdensprinter seiner Altersklasse in Deutschland, lief bei den nationalen Meisterschaften mit. „Aber ich war ein absoluter Faulpelz, bin vielleicht einmal die Woche zum Training gegangen oder auch mal gar nicht“, erinnert sich der Düsseldorfer, der heute darüber lachen kann. Vier Einheiten pro Woche sind mittlerweile Standard.

Längst hat sich der 19-Jährige auch international einen Namen gemacht, lief 2020 die weltweit elftschnellste Zeit seiner Altersklasse über 110 Meter Hürden (13,68 Sekunden). In der kürzlich zu Ende gegangenen Hallensaison 2020/21 stand er zwischenzeitlich sogar auf Rang eins, kein anderer U20-Läufer auf dem kompletten Planeten hatte die 60 Meter schneller gemeistert als der junge Düsseldorfer, am Ende der Saison reichten seine 7,87 Sekunden für einen starken vierten Platz. Und das soll längst nicht alles gewesen sein. Für die U20-EM im Juli in Tallinn (Estland) gibt es große Ziele. Da soll es schon eine Medaille sein, sagt seine Trainerin Antje Kirberg. Und wenn es einen Monat später zur U20-WM nach Nairobi (Kenia) geht, heißt das erklärte Ziel Top-8. Mindestens.

Antje Kirberg hat so etwas schon vor Jahren geahnt. „Er war immer schon ein Riesentalent, ich kenne ihn, seit er zehn Jahre alt ist“, sagt die Trainerin, die eigentlich so viel mehr ist. Gemeinsam mit ihrem Mann Klaus Kirberg ist sie der Motor der Leichtathletik-Abteilung beim TV Angermund. Einem Klub, der nicht mal eine eigene Laufbahn hat. Aber das hat die Angermunder nicht davon abgehalten, sich zu einer Talentschmiede für Leichtathletik zu entwickeln. Mittlerweile stellt der Klub vier Kaderathleten, bei den Deutschen U20-Hallenmeisterschaften 2020 gewann der TVA zweimal Gold.

Leistungssport beim Dorfverein

Los ging das 2005, die Kirbergs hatten schon zuvor jahrelang Kinder und Jugendliche trainiert, in Mettmann, Lintorf und beim TV Kalkum-Wittlaer, wo Klaus Kirberg herkommt. Doch irgendwann trennten sich die Wege, ein ambitioniertes Leistungssport-Projekt passte nicht in die Planungen des TVKW. Also sah sich Kirberg um und fand interessierte Menschen um die Ecke in Angermund. „Dann mach das hier“, hätten sie ihm irgendwann gesagt, erzählt er, „und dann haben wir das aufgebaut“.

Allerdings nicht in Angermund direkt, „im ganzen Düsseldorfer Norden gibt es keine Leichtathletik-Anlage, die nutzbar wäre. Ein Versuch ist mal auf politischer Ebene gescheitert. Wir sind seit 2005 im Arena-Sportpark und haben dort ideale Voraussetzung.“ Die helfen auch jetzt in der Corona-Zeit, in der Kaderathleten trainieren dürfen. Was auch am TVA und seinem Sicherheitskonzept liegt, sagt Klaus Kirberg. Trainer und Athleten werden regelmäßig getestet.

Auch Gregory Minoue, der einst über die Grundschule an der Essener Straße zum Sport kam. „Ich war bei den Bundesjugendspielen in der 2. Klasse der Schnellste und bin schon über vier Meter gesprungen. Da sagte mir jemand, ich soll mal zum Leichtathletik-Training gehen“, erzählt der 19-Jährige. Also ging Minoue zum ART, aber da war ihm das Training zu hart. „Der Sport hat immer Spaß gemacht, aber ich war noch ein Kind, ich wollte mehr Freizeit haben und bin deswegen zum TVA gegangen. Da war alles entspannt.“

Klaus Kirberg kann sich noch gut an die Anfangszeit mit seinem neuen Schützling erinnern. „Früher hatte er nicht den Ehrgeiz, den er heute hat“, sagt der Abteilungsleiter, der das aber gar nicht hinderlich findet: „Wenn einer zu früh in der Spitze ist und sehr viel trainiert, kann er im Kopf früh müde werden. Das ist er nicht, er kann sich heute auf den Punkt konzentrieren. Wir haben Gregory langsam aufgebaut.“

Das kam ihm entgegen. „Früher war das ein reines Hobby von mir, ein Ausgleich, ich habe zwischendurch auch noch mal Fußball gespielt“, sagt Minoue, der damit aber schnell wieder aufhörte: „Ich liebe zwar zum Beispiel auch Volleyball, aber es nervt mich an Mannschaftssportarten, wenn ein anderer einen Fehler macht. Was ich an der Leichtathletik sehr, sehr schön finde: Wenn ich gewinne, bin nur ich dafür verantwortlich. Auch wenn ich nicht gewinne, dann kann die Schuld nur bei mir suchen.“

Vom Umdenken zum Leistungsschub

Diese Tatsache brachte ihn vor knapp zweieinhalb Jahren zum Umdenken. Bis dahin war er nur auf lokaler oder regionaler Ebene gelaufen. Da gewann er meist. Auch ohne hartes Training. Aber dann wurde er im Winter 2018/19 in den Landeskader aufgenommen, traf auf andere Gegner, und plötzlich passierte etwas. „Bis dahin dachte ich immer, da gewinne ich ja so. Aber wenn du gegen die Besten in Deutschland oder der Welt läufst, gewinnst du so gar nichts.“ Also zog er beim Training an, bekam den ersten Leistungsschub, der ihn ungemein motivierte. Vizemeisterschaft am Nordrhein, im Sommer 2019 dann Siebter bei Deutschen U18-Meisterschaften. „Da habe ich dann richtig trainiert.“

Zuvor war das auch deswegen nicht immer möglich, weil Gregory Minoue immer wieder von Verletzungen zurückgeworfen wurde. „Das hatte aber mit seinem schnellen Wachstum zu tun, nicht weil er wie wild trainiert hätte“, erzählt Antje Kirberg. Also stellten sie das Hürdentraining im zweitem U16-Jahr sogar komplett ein. „Er war schnell, kam aber mit den Abständen zwischen den Hürden nicht zurecht. Wir haben das dann ein Jahr gar nicht gemacht, das hätte ihm nichts gebracht, er hätte sich nur verrenkt.“

Stattdessen standen andere Disziplinen auf dem Programm. Normale Sprints, hoch und weit Springen, Werfen und Stoßen. Das tat er so gut, dass er ein mehr als passabler Mehrkämpfer wurde. Doch weil seine Stärken vor allem die Explosivität und seine Sprungkraft sind, ging es irgendwann wieder zurück zum Hürdenlauf. Zwar mache er heute noch hin und wieder aus Spaß einen Zehnkampf, „aber die 1500 Meter sind schrecklich, ich habe absolut keine Ausdauer“, sagt er lachend.

Also gilt die Konzentration nun dem Hürdensprint. „Zwar gibt es immer wieder andere Trainingsformen, aber grundsätzlich muss er sich jetzt auf die Hürden konzentrieren, er ist jetzt ein Jahr vor der Männerklasse, sonst kann er da nicht Weltspitze werden“, sagt Klaus Kirberg. Seine Frau Antje sieht es ähnlich: „Er ist dort jetzt so gut, dass er international mithalten kann. Da hat es keinen Sinn, noch mal zu experimentieren.“ Könnte er also noch besser sein, wenn er sich schon früher spezialisiert hätte? Antje Kirberg hält sogar das Gegenteil für richtig: „Das Mehrkampftraining hat die Grundlagen gelegt. Es ist sportwissenschaftlich erwiesen, dass ein breiteres Training vielleicht kurzfristig nicht so erfolgreich ist, aber die Verletzungsanfälligkeit ist dadurch viel geringer.“

Mehrkampftraining hat die Grundlagen gelegt

Selbst heute mit 19 sei Gregory Minoue „noch nicht vollständig ausgewachsen“. Deshalb gebe es „vielseitiges Training, er belastet nicht nur die Beine, sondern beansprucht alle Muskelgruppen, das beugt Verletzungen vor“. Umso glücklicher ist sie, dass er „Spaß an vielen anderen Disziplinen hat“, er müsse sich nicht überwinden, über eine Latte zu springen. Und weil er das außerordentlich gut kann, ist Klaus Kirberg immer wieder begeistert: „Der kann aus der kalten Hose zwei Meter hoch oder 3,50 mit dem Stab springen.“ Antje Kirberg überrascht das weniger. Gregory Minoue habe ein außerordentliches Talent, „Bewegungsabläufe zu verinnerlichen und selbst zu analysieren“. Das bezieht sich nicht nur auf den Sport. „Ich habe mir selbst Klavierspielen beigebracht“, erzählt er, als sei das nichts. Generell sei er ein musikalischer Typ.

Seine Leidenschaft gilt aber dem Sport. Und der stellt ihm nun eine große Frage: Soll er alles auf die Karriere setzen und sich als Profi versuchen? Er weiß natürlich, „dass ich dafür noch eine Schippe drauflegen müsste“. Aber warum nicht? „Der Sport ist schon jetzt mein Hauptding neben der Schule.“ Das Ende seiner Zeit am Lore-Lorentz-Berufskolleg in Eller ist aber nicht mehr so lange hin. Was soll er dann machen? In die USA an ein College gehen, wie es so viele vor ihm gemacht haben? „Ich wollte mich dieses Jahr mal beraten lassen. Ich fände ich cool“, sagt er.

Auch Antje Kirberg hält das grundsätzlich für keine schlechte Idee: „Die Bedingungen dort sind wesentlich optimaler, die Sportler fallen aus dem Vorlesungssaal auf die Anlage, Ärzte und Betreuer sind immer da.“ Wobei es auch daheim in Düsseldorf keine schlechten Voraussetzungen gebe. Auch hier sind mehrmals in der Woche Physiotherapeuten vor Ort, auch hier könne man das Training noch anziehen.

Aktuell stehen aber ohnehin andere Themen im Raum. Die EM, die WM, und wenn es noch geht, zwischendurch die Deutschen Meisterschaften. Noch ist nicht ganz klar, ob er die auch noch laufen darf. Vielleicht alles etwas viel in kurzer Zeit. „Aber wir trainieren erst auf alle drei Meisterschaften hin, er will gern wieder Deutscher U20-Meister werden“, sagt Antje Kirberg. Gregory Minoue sieht das ähnlich, lässt aber erst mal alles auf sich zukommen. Ein Wettkampf nach dem anderen. Was nicht heißt, dass er nicht auch langfristige Ziele hat. „Nächstes Jahr, wenn ich in die U23 beziehungsweise die Männerklasse wechsele, wäre es schön, wenn ich direkt wieder international starten könnte. Und das ganz große Ziel ist es, 2024 in Paris bei Olympia zu starten.“

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