von Bernd Schwickerath
Milan Andresen war bereits im Vorjahr dabei, als sich körperlich und seelisch verwundete Soldaten zum Sportfest in Düsseldorf trafen. Ende Juli kommt er erneut an den Rhein, diesmal für INVICTUS GERMANY. Er freut sich auf den Sport, die Aufmerksamkeit und den Austausch mit Leidensgenossen. Aber es gibt auch Kritik an der Veranstaltung.
Man kann die Bedeutung von Sport im Leben von Milan Andresen wohl gar nicht hoch genug einschätzen. „Er hat mich aus einem Loch herausgeholt“, sagt der 38-Jährige aus Harrieslee in Schleswig-Holstein, der seit Jahren fast täglich trainiert. Und dennoch schaut er als Schwimmer, Ruderer und Bogenschütze nicht auf Medaillen, Zeiten oder Punkte. „Ich habe keinen Leistungsdruck. Es wäre zwar falsch zu sagen, ich möchte nicht der Beste sein. Aber für mich ist es schon wichtig, dabei zu sein.“
Dabei – damit meint er INVICTUS GERMANY (IG), das Sportfest vom 26. bis zum 28. Juli im CASTELLO Düsseldorf mit Teilnehmern aus acht Ländern. Das Besondere: Die Aktiven sind allesamt Menschen, die in ihrer Dienstzeit bei Militär, Polizei, Feuerwehr oder THW „an Körper und Seele durch Verwundungen, Verletzungen oder Erkrankungen bleibende Beeinträchtigungen erlitten“ haben, heißt es auf der Homepage der Veranstaltung.
Bei Milan Andresen ist das seit 15 Jahren der Fall. Der damals 23 Jahre alte Bundeswehrsoldat war 2009 als Sanitäter Teil einer Marine-Einheit, die am Horn von Afrika die Sicherheit von westlichen Handelsschiffen garantieren sollte. Doch dann besetzten Piraten die „Hansa Stavanger“, nahmen die Besatzung als Geiseln. Über Monate zog sich das hin, am Ende wurden 2,7 Millionen Dollar Lösegeld gezahlt. Aber für Milan Andresen war es damit lange nicht vorbei.
Bis heute leidet er unter den Ereignissen von 2009
Die Ereignisse haben sich tief bei ihm eingebrannt. Wie jemand mit einem Granatwerfer auf ihn zielte. Die Schüsse, die er hörte. Wie er nach der Befreiung auf das Schiff kam. „Ich habe den Einsatz mit nach Hause genommen“, sagt er. Was deutlich harmloser klingt, als es ist.
Andresen leidet unter Depressionen, hat Panikattacken, Alpträume, Schlafstörungen, meidet in der Regel größere Ansammlungen von Menschen, kann nicht mal einkaufen gehen. „Manchmal findet mich meine Frau nachts auf der Couch, ich weiß dann nicht, wo ich bin“, sagt er. Anfangs flüchtete er sich in Alkohol, ließ sich körperlich gehen.
Denn lange wurde seine Krankheit nicht als das erkannt, was sie ist: eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Vier Jahre lang habe er sich immer wieder gefragt: „Warum funktioniere ich nicht? Leider hat die Bundeswehr die PTBS-Klinik erst später aufgemacht. Vorher wurde bei mir nur eine Anpassungsstörung diagnostiziert.“ Erst 2013 füllte er im Bundeswehrkrankenhaus in Berlin mal wieder einen Fragebogen aus. „Danach haben die Ärzte sofort gesagt: Das ist eindeutig eine PTBS. Das war eine Befreiung, jetzt wissen wir, was es ist. Und ich bekam auch konkrete Hilfe.“
Sport als wichtiger Teil der Therapie
Seitdem ist er in einer Therapie, zu der Sport gehört. Das gilt auch für viele andere Soldaten, die mit bleibenden Schäden aus ihren Einsätzen zurückkamen – mit körperlichen wie seelischen. Und die sich alleingelassen fühlen.
Umso mehr freue er sich, dass das Thema seit 2014 stärker in die Öffentlichkeit kommt. Seitdem gibt es die internationalen IG, ins Leben gerufen von Prinz Harry, dem Sohn des britischen Königs Charles. Vergangenes Jahr fand das Event in Düsseldorf statt, dieses Jahr nun gibt es erstmals auch INVICTUS GERMANY, organisiert und getragen von D.LIVE.
Für Milan Andresen ist „IG ein Meilenstein auf dem Weg zur Besserung“. Und da geht es für ihn eben nicht nur um den Sport, es geht vor allem darum, Aufmerksamkeit zu erzeugen und sich mit denen auszutauschen, die ähnlich leiden. „Es ist auch für meine Familie wichtig zu sehen, dass sie nicht alleine ist. Auch die Ehepartner können sich mit anderen austauschen.“ Denn für die Angehörigen sei nach den traumatischen Erlebnissen ebenfalls nichts mehr wie vorher. Man könne das mit Partnern von Alkoholikern vergleichen, sagt Andresen.
Nur eine Imagekampagne fürs Militär?
Dass Menschen wie ihm geholfen werden muss, erkennen auch Kritiker solcher Veranstaltungen an. Aber sie störte schon vergangenes Jahr etwas anderes: Die Millionen-Kosten für den Steuerzahler, obwohl nur 37 deutsche Sportler dabei waren. Das Geld sei besser verwendet, wenn es in Hilfsfonds und Betreuung für Betroffene gesteckt würde. Zudem gehe es um Grundsätzliches: Die IG seien eine Imagekampagne fürs Militär, auch noch gesponsert von einem der größten Rüstungskonzerne der Welt.
Angelika Kraft-Dlangamandla, langjährige Sprecherin der Fraktion der Partei „Die Linke“ im Düsseldorfer Rat, sagte bereits 2020: „Sportliche Wettbewerbe sollten Frieden und Verständigung fördern. Die Invictus Games missbrauchen aber Kriegsverletzte zur Kriegsverharmlosung.“ Generell sei sie gegen eine „Militarisierung der Gesellschaft und auch des Sports“.
Andere Parteien oder der Deutsche Behindertensportverband äußerten sich hingegen positiv. Gerade seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine habe sich das Bild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit gewandelt. Die Proteste gegen die IG vergangenes Jahr vor dem Rathaus fielen entsprechend klein aus, aber es gab sie. „Kein Werben fürs Sterben“, stand auf einem Plakat. Wobei die Demonstrierenden festgehalten wissen wollten, dass sich ihr Protest keinesfalls gegen die Sportlerinnen und Sportler richtet. Denen müsse geholfen werden.
Auch unter den Aktiven selbst wird das Thema diskutiert. Milan Andresen hat sich mit Kollegen Gedanken gemacht über das Signal, das durch solche Veranstaltungen gesendet wird. Das gelte auch für den Veteranentag, der im April dieses Jahres im Bundestag beschlossen wurde. Werden da nicht einfach nur Kriegsopfer heroisiert? „Wir sehen die Gefahr, dass Trittbrettfahrer draufgehen“, sagt Andresen. „Deswegen ist es gut, dass es ein allgemeiner Veteranentag ist, und nicht nur für die, die verletzt wurden.“
Er befürwortet also den Veteranentag, ebenso die INVICTUS GAMES. Dass er da im Vorjahr nicht der schnellste Schwimmer war, sei zweitrangig. „Die Therapie hat mir gezeigt, dass es schon gut ist, dass ich überhaupt im Wasser bin.“
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