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Der Brillant aus Bilbao

Nico Williams und seine besondere Geschichte

Foto: imago/Beautiful Sports

von Tobias Kemberg

Die Eltern des spanischen Außenstürmers durchquerten als Flüchtlinge einst barfuß die Sahara. Erst der Fußball half der Familie aus der Armut. In Bilbao bildet Nico gemeinsam mit Bruder Inaki eine Flügelzange, auf Nationalmannschaftsebene sind die beiden jedoch auf unterschiedlichen Pfaden unterwegs.

Zwei Spiele, zwei Siege. Die spanische Fußball-Nationalmannschaft ist in der ersten Phase der UEFA EURO 2024 schnell zu einem der absoluten Topfavoriten auf den Titelgewinn avanciert. Mit kombinationssicherem Offensivfußball gab es zum Auftakt ein 3:0 gegen Kroatien und zuletzt ein 1:0 gegen Italien – ein angesichts des spanischen Chancenwuchers noch schmeichelhaftes Resultat für den Titelverteidiger.

Mittendrin im spanischen Offensivzirkel der Hochbegabten ist ein gerade einmal 21-Jähriger mit einer besonderen Geschichte: Nico Williams. Als Sohn eines ghanaischen Vaters und einer liberianischen Mutter wurde der hochveranlagte Außenstürmer im spanischen Pamplona geboren, acht Jahre nach seinem Bruder Inaki. Doch jene besondere Geschichte beginnt schon vor der Geburt der beiden Williams-Brüder.

Maria und Felix Williams durchquerten einst barfuß die Sahara – auf der Suche nach einem würdigen Leben für sich und die damals noch nicht geborenen Kinder. Um als Kriegsflüchtlinge anerkannt zu werden, gaben sich die Eltern von Nico bei der Ankunft in der spanischen Exklave Melilla als Liberianer aus. Das funktionierte. Und so wurden sie nach Bilbao geschickt, in die größte Stadt des autonomen Baskenlandes. Einer der dortigen Priester, Inaki Mardones, kümmerte sich so rührend und intensiv um die junge Familie, dass Maria und Felix ihren ersten Sohn aus lauter Dankbarkeit schließlich Inaki nannten.

Von der Jugendakademie zu den Profis

2002 kam dann Nico zur Welt, in Pamplona. Familie Williams lebte dort in einer Sozialwohnung, die Eltern nahmen Job um Job an, um über die Runden zu kommen. Papa Felix arbeitete soweit in England, weit weg von daheim. Entscheidend änderte sich das Leben der Vier zum Positiven, als Inaki 2013 bei Athletic Bilbao durchstartete und ein Jahr später erstmals in der ersten Mannschaft auflief. Dadurch konnte Vater Felix aus London nach Spanien zurückkehren und so war die Familie endlich wieder vereint – und finanziell abgesichert.

Nico spielte von 2013 bis 2019 für die Jugendakademie von Athletic, diesem stolzen Klub der so stolzen Basken. Am 28. April 2021 feierte er sein Debüt in der ersten spanischen Liga. Seither ist die Flügelzange bei Athletic Bilbao fest in der Hand der Williams-Brüder. Über Nico, den Brillanten, der noch etwas Feinschliff vertragen kann, heißt es, dass er sogar noch besser wird als sein älterer Bruder.

Dass mit den beiden Williams-Jungs zwei dunkelhäutige Profis für Athletic auflaufen, ist insofern erstaunlich, dass es in jenem Klub eine grundsätzliche Philosophie gibt. Denn Athletic Bilbao steht für die Politik, nur Spieler einzusetzen, die entweder in den baskischen Provinzen Bizkaia, Gipuzkoa, Álava und Navarra (alle Spanien), Labourd, Soule und Nieder-Navarra (alle Frankreich) geboren wurden oder in der Jugend eines Fußballklubs aus diesen Provinzen ausgebildet wurden. Daher konzentriert man sich auch eher auf die eigene Jugend anstelle von externen Transfers, so dass sich die erste Mannschaft traditionell zum größten Teil aus Spielern der hauseigenen Akademie Lezama zusammenstellt. Doch neben Inaki gilt auch Nico als Baske – aktuell sind beide bis 2028 bzw. 2027 an den Klub gebunden, der ihnen und ihrer Familie so viel ermöglicht hat.

Der Eine für Spanien, der Andere für Ghana

Während Inaki sich 2022 für die ghanaische Nationalmannschaft entschied, gab Nico Williams im September 2022 sein Debüt für Spanien. Gemeinsam feierten beide im April mit dem Finalsieg im spanischen Pokalwettbewerb, der Copa del Rey, den ersten Titel für Athletic Bilbao seit dem Double 1984 – auch das ist ein Teil der besonderen Geschichte der beiden Brüder, die im Klub vereint und in den Nationalmannschaften doch voneinander getrennt sind.

Für Nico Williams soll all das – langfristiger Vertrag, Pokalsieg mit Bilbao, zwei Siege zum Start in die EM – aber nur der Anfang sein. Das große Ziel für die kommenden Wochen ist klar: In Deutschland mit Spanien Europameister werden. Die Familie mit der besonderen Historie drückt auf jeden Fall ganz fest die Daumen für das nächste bemerkenswerte Kapitel in ihrer Geschichte.

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