Timo Boll, man kann es immer noch kaum glauben: Ihre einmalig große und lange Karriere ist beendet. Welche Gefühle bewegen Sie kurz nach dem endgültigen Abschied beim 2:3 im Finale der Tischtennis-Bundesliga gegen Pokalsieger TTF Liebherr Ochsenhausen?
Timo Boll: Fürs erste habe ich ausgeweint, die Tränen sind ganz schön gelaufen. Ich hatte schon gehörigen Respekt vor dem Tag, und obwohl ich mich auf diesen Moment gut vorbereitet gefühlt habe, durch die vielen vorherigen Abschiede von Fans bei vielen anderen Vereinen oder auf anderen Ebenen, muss ich sagen, dass es schon sehr heftig gewesen ist.
Welche Wahrnehmungen sind Ihnen noch besonders präsent?
Boll: Viele, aber die unbeschreibliche Kulisse, so viele Freunde, liebe Weggefährten – durch all das ist es schon sehr emotional gewesen. Das war – trotz unserer Niederlage – ein ganz besonderer und schöner Tag für mich.
Ihr Buddy Dirk Nowitzki, aber auch andere Sportgrößen wie Christian Schwarzer, Franziska van Almsick oder Britta Heidemann sind ebenfalls zu Ihrem Abschiedsspiel gekommen. Was hat Ihnen das bedeutet?
Boll: Es ist ja das Schöne am und im Sport, dass man sich durch das gleiche Mindset sofort miteinander versteht. Es hat mich sehr geehrt, dass sie alle gekommen sind. Das hat mich sehr berührt.
Im Finale haben Sie Ochsenhausens Vize-Weltmeister und Weltranglistendritten Hugo Calderano nach einem 0:2-Satzrückstand wie schon vor zwei Wochen im Champions-League-Endspiel gegen den 1. FC Saarbrücken-TT den Top-20-Spieler Darko Jorgic in den fünften Satz bis zu einem 9:9 zwingen können. Bei immer noch so viel Leistungsvermögen: Kam eigentlich in der letzten Zeit noch einmal der Gedanke auf, alle Abschiedsfeiern abzublasen und stattdessen doch noch einmal eine Saison dranzuhängen?
Boll: Nein. Es war mir schon lange sehr klar, dass nach dem TTBL-Finale Schluss ist. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich da sehr straight bin. Ich habe für das Spiel noch einmal hart trainiert, und es ist schön, dass ich bis zum Ende passabel gespielt habe und nicht unter die Räder gekommen bin. Aber hinter mir liegt eine Saison mit vielen Spielen, mit denen ich nicht so zufrieden war und die mich frustriert haben, weil ich nicht mal an das Limit herankommen konnte. Das will ich mir einfach nicht mehr antun. Außerdem: Hätte ich gewonnen, hätte ich wohl weiterspielen müssen.
Foto: imago/Kessler-Sportfotografie
Sie haben mit Borussia nicht allzu oft Endspiele verloren. Schmerzt die Niederlage durch das emotionale Nachspiel weniger als bei früheren Niederlagen?
Boll: Natürlich wollten wir das Finale gewinnen, das ist doch klar. Für Borussia und uns als Mannschaft ist es auch bitter, aber es hat eben nicht dieser ganz besondere Abschied sein sollen. Dennoch war es ein Abschied für mich, wie ich ihn mir nicht schöner hätte wünschen können. Denn manchmal ist es wichtiger als Sieg oder Niederlage, dass man noch einmal so großen Spaß hat und so viel Adrenalin spürt, wie es mir in diesem Finale ein letztes Mal vergönnt gewesen ist. Dieses Gefühl werde ich nie vergessen.
Was bleibt Ihnen außer beinahe unzähligen Titeln und Medaillen?
Boll: Ich bin nur dankbar. Welcher Sportler, welcher Mensch, darf das erleben, was ich erlebt habe?
Beim Rückblick auf Ihre Profi-Karriere – was bedeutet Ihnen am meisten?
Boll: Dass ich immer auf einem so hohen Niveau gespielt habe, dass ich mich immer wieder neu erfinden konnte und bei vermeintlich für mich ungünstigen Regeländerungen trotzdem immer wieder neue Wege gefunden habe – das macht mich stolz.
Was bedeuten Ihnen die liebevollen Abschiedsworte von so vielen Menschen?
Boll: Jedes einzelne Wort geht mir ans Herz, natürlich. Aber öfters ist es mir fast schon zu viel und unangenehm, und auch wenn es mir viel bedeutet, dass viele Menschen, die ich sehr schätze und lieb habe, schöne Sachen über mich sagen, schäme ich mich dann beinahe schon ein bisschen.
Was können nachfolgende Generationen, nicht nur im Sport, von Ihnen lernen?
Boll: Durch Anstand und Respekt wird man im Leben von anderen Menschen immer gut behandelt. Mein Abschied ist nur dadurch so schön geworden, weil ich mich immer entsprechend verhalten habe, und nicht so sehr wegen meiner sportlichen Erfolge. Weil ich im Laufe meiner Karriere hoffentlich immer ein anständiger Mensch war.
Nun sind Sie kein Profi-Sportler mehr. Haben Sie das schon realisiert?
Boll: Nein, ich glaube, das kommt erst in den nächsten Tagen, wenn im Kalender keine Termine mehr stehen. Dann werde ich wohl erst richtig begreifen, dass endgültig Schluss ist. Ich freue mich aber darauf, Zeit mit meinen Lieben zu verbringen, die in den letzten Jahrzehnten mir zuliebe auf so viel verzichtet haben. Endlich kann ich ihnen etwas zurückgeben.
Sie hatten vor längerer Zeit bereits einmal angedeutet, nach ihrer Karriere überhaupt keinen Tischtennisschläger anfassen zu wollen. Ist denn vorstellbar, dass Sie noch einmal nur aus Spaß im Freibad Pingpong spielen?
Boll: Erstmal habe ich das nicht vor. Ich habe danach gar kein Bedürfnis. Ich bin nur froh, dass ich bis zum Schluss gegenhalten konnte. Ich spiele nicht mehr weiter, weil mein Spiel mich zuletzt sehr frustriert hat, und als Perfektionist eben spielt man nie nur aus Spaß. Da suche ich mir lieber andere Sportarten, in denen ich noch besser werden kann.
Welche Sportarten kommen dabei für Sie in Betracht?
Boll: Ich habe gehört, dass man sich im Alter im Golf noch verbessern kann, zumindest auf meinem derzeitigen Niveau und mit meinem Handicap. Beim Schach könnte ich auch noch etwas lernen. Grundsätzlich darf es nicht mehr zu körperlich werden.
Ein letztes Wort zu Borussia Düsseldorf: Sie haben Verein und Mannschaft über Jahrzehnte außer durch ihre sportlichen Leistungen auch als Persönlichkeit geprägt. Ihr Abschied bedeutet für Borussia deswegen eine tiefgreifende Zäsur. Wie schätzen Sie die Zukunft Ihres Klubs ein?
Boll: Ich mache mir keine Sorgen um Borussia. Borussia ist der professionellste Verein der Liga. Sie haben es geschafft, die Zeit nach der Ära von Jörg Roßkopf und Vladimir Samsonov gut zu überbrücken, und genauso gut werden Sie es schaffen, die Zeit nach meiner Ära zu überbrücken, und dann werden sie auch wieder Titel einfahren.
Timo Boll, vielen Dank für das Gespräch.
Florian Manzke